Citymaut, die Volksbefragung und die grüne Position
von cc am 27.01.2010
Sorry, es wird wiedereinmal länger.
Das Thema ist wichtig, und Politik geht gelegentlich komplizierte Wege.
Im Fernsehn mit seinen 12 Sekunden tät ich mir jetzt sehr schwer mit der Argumentation.
Einmal mehr: Welch eine Wohltat, einen blog zu haben.
Der Reihe nach
1.) DIESE Form der Volksbefragung ist ein ganz übler Mißbrauch eines wichtigen Instruments. Es müßte ein absolutes Tabu sein, eindeutig manipulative Fragen zu stellen.
So lautet die von der SPÖ formulierte Fragestellung:
Einige Großstädte (z.B. London, Stockholm) haben zur Bewältigung des innerstädtischen Verkehrs eine Einfahrtsgebühr für das Stadtzentrum eingeführt (Citymaut). In Wien konnte durch die Verkehrspolitik (Ausbau öffentlicher Verkehr, Parkraumbewirtschaftung, Wohnsammelgaragen, Ausbau Radwegenetz) in den letzten Jahren der Autoverkehr in der Stadt deutlich reduziert werden.
Soll in Wien eine Citymaut eingeführt werden?
2.) Ebenso müßte es ein Tabu sein, völlig unklare Fragen zu stellen.
Man verzeihe mir an dieser Stelle die Polemik.
“Sind Sie dafür, daß ihnen etwas abgeschnitten wird?”
Sie würden gerne mit Ja stimmen, wenn die Haare gemeint sind.
Aber den Fuß?
Rückfrage: “Also was ist gemeint?” Antwort der SPÖ: “Das werden wir nachher sehn!”
Da können Sie nur “Nein” sagen.
3.) Es gibt nicht DIE Citymaut.
Klug und maßgeschneidert eingesetzt, ist sie EIN sehr wichtiges Instrument zur Umgestaltung des städtischen Verkehrs.
Dumm eingesetzt wirkt sie wie jede falsche Therapie: Kontraproduktiv.
4.) Wie müßte eine maßgeschneiderte Citymaut für Wien aussehen?
Dazu muß man die Frage beantworten, wo die Hauptprobleme liegen.
Diese liegen eben nicht innerhalb des ersten Bezirks, und auch nicht primär innerhalb des Gürtels.
Hier nimmt der Autoverkehr in den letzten Jahren leicht ab, aus dreierlei Gründen:
a) Immer mehr Menschen fahren mit dem Rad
b) dichtes (und in den letzen jahren gewachsenes) U-bahn- und Strassenbahnnetz
c) Abwanderung von Büroraum (d.h. von Menschen)
Nein, die großen Verkehrsprobleme (anders als z.B. in London) haben wir in den Außenbereichen der Stadt.
Hier wächst der Autoverkehr dramatisch.
Einerseits durch die Pendler, die anders als die Wiener in überwiegender Mehrheit mit den Autos kommen.
Andererseits durch Wiener, die ins Umland fahern (z.B. in neuerrichtete shopping Centers, oder in Bürokomplexa an Autobanhnknoten)
Deswegen müßte eine kluge Citymaut hier ansetzen
5.) Daraus ergibt sich das Grüne Modell: An den rund 60 Stadteinfahrten sollte die Citymaut entrichtet werden. Technisch könnte dazu relativ einfach die LKWmaut-technologie verwendet werden.
Der Tarif müßte zeitlich gestaffelt sein (und könnte in der Nacht,wenn es keinen öffentlichen Verkehr gibt ganz entfallen, dafür am Samstag vormittag, wenn abertausende Wiener die Stadt verlassen, um mit dem Auto im Outletcenter auf der Grünen Wiese einzukaufen, und somit die urbane Nahversorgung schädigen, entsprechend hoch sein
6.) Deswegen hat Hermann Knoflacher auch recht, wenn er die von der SPÖ vorgeschlagenen Citymaut (wahrscheinlich Ring oder Gürtel) ablehnt. Denn ihre langfristige Auswirkung auf die Stadtentwicklung ist entscheidend. Wenn es billiger scheint (und sei es auch nur mental) ins Umland einkaufen zu fahren, statt in die Stadt, dann ist das grundfalsch.
7.) Eine Citymaut im Stadtrandbereich hätte einen weiteren gewaltigen Vorteil, vor allem auf lange Sicht. Vor die Frage gestellt, ob man ins Umland, ins “Grüne” ziehen soll, oder innerhalb der Stadt bleiben soll, gewinntz zweiteres weiter an Attraktivität.
Die Zersiedelung, die fast zwangsläufig Autoverkehr mit sich bringen muß (einkaufen, Kinder in die Schule bringen, Arbeiten, Freunde besuchen,...) weil diese dünne Besiedelung aus schlicht mathematischen Gründen keinen attraktiven öffentlichen Verkehr ermöglicht, von den sonstigen Auswirkungen (enormer Flächenverbrauch, hohe Infrastrukturkosten) einmal abgesehn, könnte damit wirksam gebremst werden
8.) Schlau wäre es gewesen, in einem längerfristigen rund zweijährigen Prozeß mit Wissenschaftlern, Raumplanern, Politikern und der Bevölkerung eines oder auch mehrere maßgeschneiderte Citymautlösungen zu erarbeiten, zu diskutieren, abzuwägen, und Schlüsse daraus zu ziehen, und dann zu einem Wiener Modell zu kommen
9,) Noch schlauer wäre es gewesen, wie in Stockholm dieses Modell dann in Betrieb zu nehmen, um dann, nach wieder ein bis zwei Jahren, dann wenn man weiss, wie es funktioniert darüber eine Volksbefragung durchzuführen. In Stockholm war vor Einführung (da gabs die widersprüchlichsten Fantasien, was das wohl werden könnte) die Mehrheit dagegen, nachdem es in Betrieb war, gab es bei einer Volksabstimmung eine Mehrheit dafür
10.) Eine Volksbefragung ist ein sehr wichtiges Instrument der direkten Demokratie. Diese Art der mangelnden Vorbereitung, der völlig unklaren und v.a. manipulativen Fragestellung wird, leider, dieses Instrument beschädigen.
Was empfehle ich?
Nach langem Nachdenken: Ich werde nicht hingehen.
Jede/r möge selbst entscheiden, wie er für sich entscheidet.
Aber weder kann ich einer völlig falschen, kontraproduktiven Ausgestaltung der Citymaut (Ring) ein Ja erteilen, noch guten Herzen gemeinsam mit dem ÖAMTC und den Autokadern der SPÖ mit Nein stimmen.
ich will und werde weiter für eine schlaue Citymaut argumentieren und werben.
Je geringer die Beteiligung bei dieser rein parteipolitisch motivierten Farcebefragung, desto geringer ihre Legitimität.
more arguments to come
bin sehr gespannt auf Eure Meinungen
Edit: Hier unser Citymautmodell genauer
Das Thema ist wichtig, und Politik geht gelegentlich komplizierte Wege.
Im Fernsehn mit seinen 12 Sekunden tät ich mir jetzt sehr schwer mit der Argumentation.
Einmal mehr: Welch eine Wohltat, einen blog zu haben.
Der Reihe nach
1.) DIESE Form der Volksbefragung ist ein ganz übler Mißbrauch eines wichtigen Instruments. Es müßte ein absolutes Tabu sein, eindeutig manipulative Fragen zu stellen.
So lautet die von der SPÖ formulierte Fragestellung:
Einige Großstädte (z.B. London, Stockholm) haben zur Bewältigung des innerstädtischen Verkehrs eine Einfahrtsgebühr für das Stadtzentrum eingeführt (Citymaut). In Wien konnte durch die Verkehrspolitik (Ausbau öffentlicher Verkehr, Parkraumbewirtschaftung, Wohnsammelgaragen, Ausbau Radwegenetz) in den letzten Jahren der Autoverkehr in der Stadt deutlich reduziert werden.
Soll in Wien eine Citymaut eingeführt werden?
2.) Ebenso müßte es ein Tabu sein, völlig unklare Fragen zu stellen.
Man verzeihe mir an dieser Stelle die Polemik.
“Sind Sie dafür, daß ihnen etwas abgeschnitten wird?”
Sie würden gerne mit Ja stimmen, wenn die Haare gemeint sind.
Aber den Fuß?
Rückfrage: “Also was ist gemeint?” Antwort der SPÖ: “Das werden wir nachher sehn!”
Da können Sie nur “Nein” sagen.
3.) Es gibt nicht DIE Citymaut.
Klug und maßgeschneidert eingesetzt, ist sie EIN sehr wichtiges Instrument zur Umgestaltung des städtischen Verkehrs.
Dumm eingesetzt wirkt sie wie jede falsche Therapie: Kontraproduktiv.
4.) Wie müßte eine maßgeschneiderte Citymaut für Wien aussehen?
Dazu muß man die Frage beantworten, wo die Hauptprobleme liegen.
Diese liegen eben nicht innerhalb des ersten Bezirks, und auch nicht primär innerhalb des Gürtels.
Hier nimmt der Autoverkehr in den letzten Jahren leicht ab, aus dreierlei Gründen:
a) Immer mehr Menschen fahren mit dem Rad
b) dichtes (und in den letzen jahren gewachsenes) U-bahn- und Strassenbahnnetz
c) Abwanderung von Büroraum (d.h. von Menschen)
Nein, die großen Verkehrsprobleme (anders als z.B. in London) haben wir in den Außenbereichen der Stadt.
Hier wächst der Autoverkehr dramatisch.
Einerseits durch die Pendler, die anders als die Wiener in überwiegender Mehrheit mit den Autos kommen.
Andererseits durch Wiener, die ins Umland fahern (z.B. in neuerrichtete shopping Centers, oder in Bürokomplexa an Autobanhnknoten)
Deswegen müßte eine kluge Citymaut hier ansetzen
5.) Daraus ergibt sich das Grüne Modell: An den rund 60 Stadteinfahrten sollte die Citymaut entrichtet werden. Technisch könnte dazu relativ einfach die LKWmaut-technologie verwendet werden.
Der Tarif müßte zeitlich gestaffelt sein (und könnte in der Nacht,wenn es keinen öffentlichen Verkehr gibt ganz entfallen, dafür am Samstag vormittag, wenn abertausende Wiener die Stadt verlassen, um mit dem Auto im Outletcenter auf der Grünen Wiese einzukaufen, und somit die urbane Nahversorgung schädigen, entsprechend hoch sein
6.) Deswegen hat Hermann Knoflacher auch recht, wenn er die von der SPÖ vorgeschlagenen Citymaut (wahrscheinlich Ring oder Gürtel) ablehnt. Denn ihre langfristige Auswirkung auf die Stadtentwicklung ist entscheidend. Wenn es billiger scheint (und sei es auch nur mental) ins Umland einkaufen zu fahren, statt in die Stadt, dann ist das grundfalsch.
7.) Eine Citymaut im Stadtrandbereich hätte einen weiteren gewaltigen Vorteil, vor allem auf lange Sicht. Vor die Frage gestellt, ob man ins Umland, ins “Grüne” ziehen soll, oder innerhalb der Stadt bleiben soll, gewinntz zweiteres weiter an Attraktivität.
Die Zersiedelung, die fast zwangsläufig Autoverkehr mit sich bringen muß (einkaufen, Kinder in die Schule bringen, Arbeiten, Freunde besuchen,...) weil diese dünne Besiedelung aus schlicht mathematischen Gründen keinen attraktiven öffentlichen Verkehr ermöglicht, von den sonstigen Auswirkungen (enormer Flächenverbrauch, hohe Infrastrukturkosten) einmal abgesehn, könnte damit wirksam gebremst werden
8.) Schlau wäre es gewesen, in einem längerfristigen rund zweijährigen Prozeß mit Wissenschaftlern, Raumplanern, Politikern und der Bevölkerung eines oder auch mehrere maßgeschneiderte Citymautlösungen zu erarbeiten, zu diskutieren, abzuwägen, und Schlüsse daraus zu ziehen, und dann zu einem Wiener Modell zu kommen
9,) Noch schlauer wäre es gewesen, wie in Stockholm dieses Modell dann in Betrieb zu nehmen, um dann, nach wieder ein bis zwei Jahren, dann wenn man weiss, wie es funktioniert darüber eine Volksbefragung durchzuführen. In Stockholm war vor Einführung (da gabs die widersprüchlichsten Fantasien, was das wohl werden könnte) die Mehrheit dagegen, nachdem es in Betrieb war, gab es bei einer Volksabstimmung eine Mehrheit dafür
10.) Eine Volksbefragung ist ein sehr wichtiges Instrument der direkten Demokratie. Diese Art der mangelnden Vorbereitung, der völlig unklaren und v.a. manipulativen Fragestellung wird, leider, dieses Instrument beschädigen.
Was empfehle ich?
Nach langem Nachdenken: Ich werde nicht hingehen.
Jede/r möge selbst entscheiden, wie er für sich entscheidet.
Aber weder kann ich einer völlig falschen, kontraproduktiven Ausgestaltung der Citymaut (Ring) ein Ja erteilen, noch guten Herzen gemeinsam mit dem ÖAMTC und den Autokadern der SPÖ mit Nein stimmen.
ich will und werde weiter für eine schlaue Citymaut argumentieren und werben.
Je geringer die Beteiligung bei dieser rein parteipolitisch motivierten Farcebefragung, desto geringer ihre Legitimität.
more arguments to come
bin sehr gespannt auf Eure Meinungen
Edit: Hier unser Citymautmodell genauer