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So haben wir die Welt gerettet

Andreas Weber, Chefredakteur des format hat mich gebeten, zu ihrer Kopenhagen-Ausgabe einen Gastkommentar zu schreiben.
Ich wollte mir dazu etwas Neues einfallen lassen, nicht bloß eine Zusammenfassung von vielem, was hier am blog schon zu lesen war.
Voila.
Das ist dabei herausgekommen


Meine Rede als erster direkt gewählter Präsident der Europäischen Union vor dem Parlament in Algier anno 2021


Meine Damen und Herren, es ist mir eine große Ehre heute, an diesem denkwürdigen, ja historischen Tag hier sprechen zu können. Wer hätte das vor wenigen Jahren für möglich gehalten, daß heute Sie, vereehrter Herr Ministerpräsident und ich gemeinsam mit neun Staatsoberhäuptern der arabischen Union ein solches Dokument unterzeichnen werden.
Lassen Sie mich deswegen einen kurzen historischen Streifzug machen, um den gewaltigen Wandel, in dem sich unsere Welt derzeit befindet sichtbar zu machen.
Ich möchte ich bei Datum beginnen, an das sich wenige erinnern werden, den Dezember 2009. In Kopenhagen fand damals ein Klimagipfel statt, seine Ergebnisse widerspiegelten die Lähmung der damaligen Zeit, das was die Regierungschefs damals als lauen Kompromiss aushandelten, wurde, wie wir heute wissen, von der Wirklichkeit völlig überholt.
Es war eine Zeit politischer Lähmung, in einem Ausmaß, das wir uns heute kaum mehr vorstellen können.
Gerade war eine große Finanzkrise dank der Übernahme ungeheurer finanzieller Bürden der Staaten scheinbar überstanden, zwar war überall versprochen worden, “soetwas” werde man in Zukunft verhindern, passiert ist gar nichts.
Im Gegenteil: Das billige Geld, das Nationalbanken und Staaten in die Wirtschaft gepumpt haben, wurde sorglos von ebendenen, die die erste, die “kleine” Finanzkrise verursacht haben zum Aufbau riesiger neuer Blasen verwendet, wieder wurden gezockt, als gäbe es kein Morgen, die Staaten hatten riesige Schuldenberge angehäuft und so schleppte sich die Wirtschaft dahin, bis das erste Wendejahr kam: Im August 2012. Der italienische Staat konnte eine Umschuldung nicht mehr finanzieren, seine Staatsanleihen fanden nicht genug Käufer, was dann passierte wissen wir alle nur zu gut. Denn als hektisch versucht wurde, den dadurch ausgelösten Dominoeffekt abzubremsen, und ein Streit darüber entbrannte, wer in den Klub der neuen europäischen Währung aufgenommen werden solle, als Massenproteste, Bankbesetzungen und häßliche Ausschreitungen über unsere Bildschirme flimmerten, platze am 17 Februar 2013 die Nachricht aus Dhahran: Revolution in Saudiarabien.
Hier und heute ist nicht der Ort das nachzuzeichnen, was dann passiert ist, die Explosion der Ölpreise, das Überschwappen der Revolutionen auf viele arabische Länder, der totale Zusammenbruch der Finanzmärkte, eine Weltwirtschaftkrise, von der wir zu Beginn glaubten, sie sei abgrundtief.

Es ist anders gekommen. auch dank Ihnen Herr Ministerpräsident.
Wir hatten völlig unterschätzt, wie schnell sich auch in der arabischen Welt die junge Generation dank neuer Medien organisieren kann, das Blutvergiessen fand rasch ein Ende und innerhalb weniger Monate gab es erste freie Wahlen in Saudiarabien.
Bei uns rückten die Menschen zusammen, es wäre nur wenige Wochen zuvor unvorstellbar gewesen, was plötzlich normal war.
Fast müssen wir uns dafür bedanken, daß die Befreier in Riad den späten Winter gewählt haben, wo bei uns der Frühling schon vor der Tür stand. Klarerweise führten zwar Hamsterkäufe zu breiten Versorgungsengpässen, aber ganz rasch war eine breite Solidarität zu spüren.
Fast, als hätten die Leute darauf gewartet.
In unseren Städten des Nordens kehrten fast nordafrikanische Sitten ein. Da Benzin äusserst knapp und extrem teuer war, oranisierten sich Menschen Mitfahrgelegenheiten aller Art. Blitzschnell wurde über mobile Geräte Transportangebote und Bedürfnisse abgeglichen, und schon saßen drei, vier Personen in einem PKW, das zum Sammeltaxi mutiert war.
Auf den Strassen wimmelte es von Radfahrern und Fußgängern und es dauerte auch gar nicht lange bis erst auf mobilen Märkten Lebensmittel und Waren aller Art gehandelt wurden, und bald zogen in den leer stehenden Erdgeschoßzonen kleine Geschäfte ein, kaum eine Freifläche, die nicht zum Garten mutierte.

Der große politische und wirtschaftliche Wendepunkt war dann der Gipfel von Riad im Winter 2013.
Gebannt starrte die Welt in den Nahen Osten.Alle saßen an einem Tisch. Die arabischen und afrikanischen Ölproduzenten, Chinesen und Inder, Amerikaner und wir Europäer. Wenige Jahre vorher wäre es eine ökonomische Bombe gewesen, aber irgendwie waren alle darauf vorbereitet, was für Zahlen und Vorschläge der neugewählte saudische Präsident auf den Tisch legte.
Einerseits eröffnete er uns die Wahrheit über die Ölproduktion seines Landes. Die meisten seiner Ölfelder waren schon sehr alt und trotz massiver technischer Raffinesse war es unausweichbar, dass die Förderung stagnieren werde, und alsbald, wie schon anfang des Jahrtausends in der Nordsee zu sinken beginne.
Und dann machte er uns Industrieländern unmißverständlich klar, daß es angesichts weltweit zwangsläufig sinkender Ölmengen es zu einer gerechteren globalen Verteilung derselben kommen müsse.
Bald war klar: das war der Beginn einer völlig neuen Weltwirtschaftsordnung, deren Eckpunkte innerhalb eines Jahres ausgearbeitet werden mußte.
Was dann folgte, kann man heute rückblickend nur als globale technische Revolution bezeichnen.
Denn was bislang, oft belächelt, ein Nischendasein gefristet hatte, breitete sich explosionsartig aus.
Schauen wir uns an, was alleine hier in Nordafrika innerhalb weniger Jahre möglich war.
Riesige thermische Solaranlagen erzeugen jenen Strom, der schrittweise Ihre kalorischen Kraftwerke ersetzt hat, und endlich auch jene Armen erreicht hat, die bisher im wahrsten Sinne des Wortes abseits lagen.
Die Abwärme dieser Sonnenkraftwerke entsalzt Meerwasser, welches in die Wüstengebiete gepumpt wird, von denen hier kaum Mangel herrscht, und wo mittels Tröpfchenbewässerung von Ölpalmen bis Bambus die wunderbarste Technologie der Energie-und Nahrungsgewinnung genutzt wir: Die Fotosynthese, die Umwandlung von Licht in Biomasse.
Bald werden die Reststoffe der Ölpalmen kompostiert werden können, und so wird mitten in der Wüste Humus entstehen; diese neue Agrarflächen haben noch eine ganz wesentliche Zusatzfunktion hat: Sie binden CO2 und helfen so, dem Treibhauseffekt entgegenzuwirken.
Oder schauen wir nach Europa: Nahezu ausnahmslos werden Häuser so gebaut, daß sie völlig ohne Fremdenergie auskommen. Perfekt isoliert, erzeugen Fassaden und Dächer dezentral Strom aus Sonnenlicht; die Technik dazu gabt es zwar schon länger, sie kam nur kaum zur breiten Anwendung.
Der unproduktive Streit “Energiepflanzen oder Lebensmittel” wurde ganz simpel gelöst. Beides ist parallel möglich: Beim Getreideanbau kommen wieder Pflanzen zum Einsatz, die vermehrt Stroh produzieren, welches ebenso Energieträger wie chemischer Rohstoff ist. In den bisherigen Brachemonaten werden eigene Gräser und Pflanzen angebaut, die Stickstoff binden, die Bodenfruchtbarkeit erhöhen und einen zusätzlichen Rohstoff anbieten.
Ja, und dann eine der ältesten “Technologien”, sie wurde in hunderten Millionen Jahren perfektioniert, die Algen.
Auch sie werden jetzt weltweit auf wüstenartigen Flächen hergestellt, und liefern Öl sowie andere biogene Grundstoffe, die - als Übergangstechnologie in ehemaligen Kohlekraftwerken verfeuert werden.
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf jenes technische Produkt, welches wie kaum ein anderes im letzten Jahrhundert das Antlitz unserer Städte und Landschaften geprägt hat: Das Auto.
Kaum zehn Jahre ist es her, dass in geradezu rührender Einfältigkeit Techniker versucht hatten, knapp zwei Tonnen schwere Gefährte auf Elektroantrieb umzurüsten, obwohl sie meist nur einen Menschen transportieren wollten. Sie scheiterten.
Offenbar ist das ein Naturgesetz: Jede neue Technologie bleibt anfangs im Alten stecken. So sahen die ersten Autos wie Pferdekutschen aus, so waren die ersten Fernsehbilder gefilmtes Theater, ja sogar der Buchdruck zu Gutenbergs Zeit imitierte aufwändig Handschriften.Immer dauerte es einige Zeit, bis die Vorteile der neuen Technik erkannt wird.
Vom Ballast panzerartig schwerer Autos befreiten uns die Chinesen. Erst rüsteten sie ihre Benzinroller auf Elektroantrieb um, dann entstanden extrem leichte, überdachte Kleinfahrzeuge in pfiffigem Design, die wenig Batteriekapazität benötigen, zwei oder drei Personen sowie Gepäck transportieren und mit Reichweiten von mehr als 200 km fast alle Mobilitätsbedürfnisse abdecken.
Heute prägen sie das Bild weiter Teile der Straßen, mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte es sie immer schon gegeben.
Im Zuge der politischen Umbrüche war es dann fast eine Notwendigkeit, meinem Heimatland, der EU, einen endlich vom Volk direkt gewählten Repräsentaten zu geben.
Dieser gesamteuropäische Wahlkampf hat bei ganz vielen erstmals das intensive Gefühl entstehen lassen, “Europäer” zu sein.
Was die Zukunft bringt, wurde ich vor dieser Rede gefragt. Ich weiß es nicht. Wie hätte man vor zehn Jahren das vorhersagen können, was heute Wirklichkeit ist? Nur eines: Es ist viel mehr mehr möglich, auch heute Unvorstellbares.
PeZwo - 4. Dez, 08:52

eine schöne Weihnachtsgeschichte ;)

Markus Pirchner (Gast) - 4. Dez, 09:37

Es wird nicht reichen

Mit ökologischen Errungenschaften allein wird die Welt nicht zu retten sein. Vielleicht sollte doch noch ein Profi die Rede überarbeiten.
Und dass die zwei Spitzenpositionen - Ministerpräsident und EU-Präsident - noch 2021 mit Männern besetzt sind, ist auch nicht gerade ein Zeichen des Fortschritts (im Denken).
Aber es ist ja nur eine Geschichte.

Daniel Gitau (Gast) - 4. Dez, 11:24

Eine schöne Geschichte...

...mit vielen interessanten Anhaltspunkten und "Wegweisern", wie die Welt in Zukunft ausehen könnte. Was mir nur leider total abgeht, sind die Themen Bevölkerungsanzahl und Klimawandel - zwei weitere Aspekte, die unsere Soziosphäre in den kommenden Jahrzehnten ganz drastisch prägen werden. However, eine Geschichte erlaubt ja immer einen zweiten und dritten Teil :)

so far, well done!

teacher - 5. Dez, 11:46

Die entscheidende Rede wird kein Europäer/keine Europäerin halten, sondern ein Inder oder ein Chinese. Über Entwicklungshilfe in Südeuropa, Bildungsmisere in Mitteleuropa und Entvölkerung in Nordeuropa.

Harald Jahn (Gast) - 13. Dez, 14:35

Danke!

Lieber Christoph, trotz der kleinen kritischen Anmerkungen der anderen Kommentatoren (und trotz meiner Anmerkung, warum dauernd nur von individuellen Verkehrsmitteln - auch Elektroautos - ausgegangen wird, statt den ÖV als das wichtigste zu fördernde Rückgrat zu sehen) - Der Artikel ist in meinen Augen eine Wucht! Er hat mir unter anderem auch klar gemacht, um wieviel schneller sich die bereits jetzt schwindelerregend wirbelnde Welt sich künftig verändern wird, und wo es immense Chancen gibt. Die Europäer (und vor allem die Wiener) vergessen ja, mit welcher Dynamik sich die umgebenden Länder entwickeln, was es dort für ein riesiges Potential an jungen Menschen gibt - und was alles möglich sein kann, weit über unseren saturierten Trott hinaus. Warum bremsen eigentlich (fast) alle Politiker alles, obwohl sie doch die Leader sein sollten - das versteh ich nie. Danke jedenfalls!

dieter (Gast) - 13. Dez, 23:19

Die globalistischen Aspekte (Panarabismus, Europa-Nationalismus) der Rede halte ich für weltfremd und themenverfehlend, die lokalen Entwicklungen für realistisch.

1. Durch die Erkenntnis, dass Energie knapp wird, wird die Politik eher lokaler und provinzieller werden. Weltverbesserung wird aus der Mode kommen, stattdessen wird man sich wesentlich fruchtbarer auf lokale Problemlösungen konzentrieren. Die Energiepreise werden die Entwicklung antreiben.

2. Der Öl-Verbrauch der OECD geht bereits seit zehn Jahren zurück. Genauso wie das Thema Bevölkerungsexplosion bei der postmarxistischen Linken nicht mehr en vogue ist, seit in der OECD die Geburtenschwäche eingesetzt hat, wird der Klimawandel bei zunehmenden CO2-Ausstoss nicht-westlicher Länder als Thema an Bedeutung verlieren.
Schließlich hat die Popularität solcher Weltverbesserungsthemen viel mit einem Bedürfnis nach Sühne und Buße zu tun und weniger mit nüchternen Überlegungen zu Nachhaltigkeit und Umweltbilanz. Auf fremde und gar arme Länder zu schimpfen zerstört den Reiz an der Sache.

3. Weniger Skrupel haben da die Rechten. Die Neokonservativen werden auf den Klima-Zug aufspringen. Schließlich könnte man neue Kriegszüge damit argumentieren, dass man den explodierenden und ineffizienten Eigenverbrauch in Öl produzierenden Ländern und Entwicklungsländern verhindern müsse, um Bangladesh und die Eisbären zu retten.

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