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Der Fluch des Koalitionspakts

Viele meinen zurecht:
Mindestens so sehr wie um Inhalte geht es bei (und nach) dieser Wahl um politische Kultur: es geht um das WAS, aber genauso um das WIE der Politik.
Schlicht an die politischen Akteure zu appellieren, und nach "mehr politischer Kultur" zu rufen, ist reichlich naiv.
Ich hab hier schon einige male darüber geschrieben, wie wichtig es wäre das Parlament als Volksvertretung aufzuwerten, und die Regierung bei dem zu belassen, was sie nach der Verfassung ist: die "Exekutive", welche der Gesetzgebung (die eigentlich im Parlament stattfinden sollte) folgt.
Dass alle nur darüber diskutieren, welche neue Regierung kommt, zeigt schon das Problem.
Die Regierung soll (wie bisher üblich) alle Gesetze, Reformen etc. machen.
Da schwingt schon mit, dass das Parlament eigentlich bloß eine formale Abstimmungsmaschine ist, und v.a. die Abgeordneten der Regierungsfraktionen zu abhängigen Befehlsempfängern werden.
Dieser politische Systemfehler manifestiert sich gleich zu Beginn.
Denn der Koalitionspakt ist eigentlich sowohl Fluch wie Frevel.
Man findet ihn (zurecht) nirgendwo in der Verfassung.
Denn was ist sein Ziel:
Eine Regierung "vereinbart" die wesentlichsten Ziele. Manche meinen, ein guter Koalitionspakt sei ziemlich detailliert. Fast alle darin beschriebenen Vorhaben beinhalten Gesetzesänderungen.
Sie "binden" die Abgeordneten über die gesamte Periode.
Wie absurd das ist, möchte ich an zwei grossen Reformvorhaben jeder zukünftigen Regierung beschreiben: der Gesundheits- sowie der Pensionsreform.
Deren Schwierigkeit liegt ja nicht primär in Auffassungsunterschieden von zwei politischen Parteien.
In Wirklichkeit gibt es ganz viele unmittelbar Betroffene, mit unterschiedlichsten, sehr ausgeprägten Interessenslagen.
Beim Gesundheitsthema:
die 9 Bundesländer (welche ua. Spitäler betreiben)
die Sozialversicherungsträger
die Sozialpartner (welche teilweise "Eigentümer" der Sozialversicherungsträger sind)
die Ärzte (mit ihren sehr unterschiedlichen Interessen)
die Gewerkschaften
nicht zuletzt die Allgemeinheit, welche optimale Gesundheitsversorgung möchte
die "Zulieferer" zum System, von den Pharmafirmen zu den Geräteausstattern, diese profitieren an den hohen "Kosten"
die Steuerzahler, welche die steigenden Kosten tragen müssen
und so fort

Jede "Reform" wird, ja muss auf Widerstand stoßen.
Drum ist DAS so absurd, und muss scheitern.
In ein oder zwei Verhandlungsrunden soll hinter verschlossenen Tueren zur Bildung des Koalitionspaktes eine deratig notwendig komplexe Reform verhandelt werden.
Deswegen mein Vorschlag:
1.) Öffentlichkeit
2.) Zeit
Und so sollte es gehen.
Eine Koalition legt einige Reformvorhaben fest, welche sie explizit dem Parlament überantwortet.
Dort sollte (hier koennen wir vom US Kongress lernen) in ausreichender Zeit (ca ein Jahr) in öffentlicher Sitzung, auch im Internet voll übertragen, alle Beteiligten ausführlich gehört werden, verschiedene Reformalternativen vorgelegt werden und so mehr Klarheit in die Interessens- und Blockadehaltungen (Stichwort Neugebauer) gebracht werden.
Ganz bewusst und explizit sollen dabei alle Parteien, genauer gesagt alle Abgeordneten einbezogen sein.
Am Ende wurden alle gehört, konnten Ihre inhaltlichen Argumente und Vorschläge einbringen, dann wird ein Kompromiss gesucht, und dieser wir dann einer namentlichen Abstimmung aller Abgeordneten unterzogen.
Ich kann mich gut erinnern, dass z.B. im Wiener Gemeinderat eine solche Vorgangsweise öfters gewählt wurde und am Ende ein breit getragener Beschluss stand.
Ich gebe zu, es gibt keine Garantie, dass es funktioniert.
Aber es wäre doch wert, es einmal in einigen besonders komplexen Politikbereichen auszuprobieren.
Wenn es funktionierte, waere es ein grosser Bedeutungsgewinn fuer einen wiedergewonnenen Parlamentarismus und ein grosser Schritt hin zu mehr politischer Kultur in Österreich.
Carlo (Gast) - 4. Aug, 18:41

Geht vorläufig nur mit koalitionsfreier Raum?

Einen Koalitionspakt brauchts, um eine gedeihliche Zusammenarbeit in einer Koaltion zu garantieren und in dem bestimmte Ziele festgelegt werden, in Graz z.B. die Reduzierung des Anteils des Autoverkehrs von 48% auf 40%. In Graz gabs zu Schwarzgrün sehr intensive Verhandlungen, bei denen die Grünen meiner Meinung nach sehr gut verhandelt haben. Nur dadurch war es möglich, dass die grünen Delegierten diesem Pakt dieser Koalition auch zustimmen konnte.
Zusätzliche wurde aber ein sogenannter "Koalitionsfreier Raum" vereinbart, in den Dinge hineingestellt werden können, über die keine Einigkeit erzielt werden kann, was aber ausdrücklich die Koalition nicht bedroht. Aktuelle Beispiele sind die Finanzierung des GAK und ein großes Einkaufszentrum, zu dem die Grünen keine Zustimmung geben und das daher in diesen "Raum" wandert. Betrüblich ist allerdings, dass viele Medien daraus sofort eine Koalitionskrise herbeischreiben und die anderen Parteien zumindest versuchen, hier Hebeln zur Aushebelung der Koalition anzusetzen. Trotzdem, die Übung scheint zu gelingen, die Koaltion hält das aus und der Gemeinderat erfährt eine Aufwertung. Ähnliches sollte auch auf nationaler Ebene versucht werden.

maschi - 6. Aug, 12:13

ein aspekt, den man auch noch stärker herausarbeiten könnte, wobei mir die griffige formulierung dafür bis jetzt vielleicht fehlt:

der koalitionspakt verhindert die demokratisch bestmögliche manifestation des "wahren wählerwillens".

warum? der wählerwille (nach dem dann mit blick auf koalitionen im anschluss an wahlen immer emsig, aber zwangsläufig erfolglos geforscht wird) kann denkunmöglich darin bestehen, dass sich irgendeine konstellation an lagern für viele jahre aneinander bindet und damit immer auch sagt: was nur einer von uns gar nicht will, passiert auch sicher nicht - und zwar auch dann nicht, wenn eine (andere) parlamentarische MEHRHEIT dafür ist.

der wähler gewichtet mit seiner stimmabgabe die parteien. innerhalb dieses systems manifestiert sich der wählerwille dann am besten, wenn die mehrheitsbildung ZU JEDER EINZELNEN SACHFRAGE möglichst frei und gesondert erfolgen kann. Ein Koalitionspakt ist demgegenüber sogar bereits sowas wie ein Extremfall an Junktimierung.

Carlo (Gast) - 7. Aug, 12:20

@ maschi

Wie soll eine Regierung aus mehreren Parteien funktionieren wenn es kein Koalitionsabkommen gibt? Die müssen sich doch zumindest einigen auf Ressortaufteilung, Budgets, gemeinsam zu erreichende Ziele, regelmäßige Überprüfung der Ziele etc.
Ich stimme mit Dir überein dass es katastrophal ist, wenn die Koalitionsabkommen Diskussion ersticken und hauptsächlich der Blockierung statt der Umsetzung dienen. Aber ganz ohne wird es nicht gehen, ansonsten wird's vermutlich sehr chaotisch, demagogisch und nur äußerst wenig dem "wählerwillen" entsprechend zugehen.
maschi - 7. Aug, 12:49

Es sollte aus meiner sicht am besten gar keine regierungen aus mehreren parteien mehr geben oder nur dann, wenn mehrere Parteien wirklich miteinander wollen. 2 Möglichkeiten

- ohne Verfassungsänderung: UHBP beauftragt, sofern es keine klare Koalitionsansage seitens einiger Parteien gibt, den Wahlsieger mit der Bildung einer Minderheitsregierung und hält am besten auch gleich eine Rede zur Lage der Nation, die sich ordentlich gewaschen hat, in der er verkündet, dass das eben ganz und gar keine Notlösung ist, sondern von ihm damit eine nachhaltige Änderung unserer politischen Kultur und der Handhabung unserer Verfassung nach dem Vorbild einiger skandinavischer Staaten angestrebt wird.

Ich bin eigentlich sicher, dass das funktionieren kann, uU mit einer regelmässig nicht erst zum regulären Wahltermin, sondern eher meist schon im letzten Jahr der Legislaturperiode stattfindenden Wahl (weil umso näher der zwingende Wahltermin rückt, umso eher werden sich ein paar Parteien zusammenfinden, die einen etwas früheren Termin für sich für wünschenswert halten...) Hier könnte uns sogar die fragwürdige Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre gewissermassen "helfen". Hat man nämlich Minderheitsregierungen als Standardfall der Regierungsbildung kommen dann wieder regelmässig rund vier Jahre dauernde Legislaturperioden raus dabei...

- mit Verfassungsänderung: einer direkt gewählten Regierung, die dann von einer partei gestellt wird und primär nur für die vollziehung bestehender gesetze verantwortlich ist, steht ein direkt gewähltes parlament gegenüber, das für die gesetzgebung verantwortlich ist und in dem die mehrheitsbildung nun deshalb freier erfolgen kann, weil es gar keinen bedarf für eine "regierungskoalition" gibt: das ergebnis der wahl zum nationalrat ändert nichts daran, dass aufgrund einer anderen wahl eine partei aktuell mit der regierung beauftragt ist. Das wäre ein US-ähnliches System, aber mit einem per Verhältniswahlrecht zusammengesetzten Parlament. Sofern die Einparteien-Regierung in einem solchen System Gesetzesänderungen wünscht, muss sie sich wie eine Minderheitsregierung im Parlament eine Mehrheit suchen, kann aber vom Parlament nicht mehr so ohne weiters in die Wüste geschickt werden... das ginge dann eher nur noch über eine Absetzungsvolksabstimmung - wie gesagt grobe Verfassungsänderungen.

Ich kann mir auch vorstellen, dass wir nach ein, zwei Jahrzehnten Minderheitsregierungen irgendwann vielleicht eine breite Mehrheit für so eine Verfassungsänderung haben werden.
Raphael (Gast) - 11. Aug, 15:18

Zustimmung

Ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich halte auch den Wahlslogan der SPÖ für undemokratisch: "genug gestritten"? Ja wollen wir denn in einer Diktatur leben, in der Gesetzesänderungen im stillen Kämmerlein diskutiert werden und die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen gestellt wird? Unsere Minister halten anscheinend gar nichts mehr aus uns sind sofort beleidigt, wenn jemand öffentlich widerspricht. Ihnen geht es nur um ihr mediales Image und nicht darum in öffentlichem Diskurs die beste Lösung herauszuarbeiten.

Zustimmung.

In Österreich fixieren die Parteien die Personen, die dem Wähler ein Angebot auf die nächsten fünf Jahre machen dürfen. Ein Wahlergebnis teilt die Personen in Minister und Oppositionelle - und diese Rollen sollen und müssen auch eingehalten werden.

Womit ich Ihnen nun Recht gebe: Streit, Kritik und Auflehnung sind die Eckpfeiler der Demokratie. Opposition muss ihren Wählern das Versprechen halten, wie auch die Minister, die nicht minder einer Schar von Personen verpflichtet sind, womit nun Streit vorprogrammiert ist. Streit ist hässlich und unproduktiv, aber durch Zurückhaltung alleine finden sich schließlich keine Kompromisse.

Ein bisschen weniger Eitelkeit und Kalkül wäre also wünschenswert, ebenso mehr konstruktive Kritik anstatt sich lediglich gegenseitig Dinge in die Schuhe zu schieben.

Politik darf leidenschaftlich sein, manchmal muss man kämpfen. Am Ende des Tages aber für ein Kinderlächeln.

Ihr Kernfragensachverständiger

(https://ponyhof08.wordpress.com)
ab (Gast) - 25. Aug, 00:14

Wahlen 2008: Einkommensverteilung und Unternehmensprofite bisher kein Thema - auch nicht bei den Grünen


cc - 26. Aug, 07:43

Einkommensverteilung ist Thema!

Es gibt im Wahlkampf nicht nur Plakate.

Was einer Partei wichtig ist, formuliert sie in ihrem Wahlprogramm.
Unseres wird Mittwoch 27.August präsentiert.
Ich erlaube mir heute schon ganz kurz daraus zu zitieren:

Die Überschrift eines zentralen Kapitels lautet:
Arbeit entlasten und Reiche in die Pflicht nehmen
dann finden sich eine Reihe konkreter Vorhaben, u.a:

Vermögen vernünftig besteuern. Was überall selbstverständlich ist, soll auch in Österreich möglich sein – eine Vermögensteuer, bei der Vermögen unter Gewährung hoher Freibeträge mit einem geringen Steuersatz belegt werden. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung wird die Grundsteuer abgeschafft.

Stiftungen zur Kasse. Als erste Sofortmaßnahme zur Reduktion der Steuerprivilegien für Privatstiftungen wird der Steuersatzes bei Einbringung von Vermögen in die Stiftung von derzeit 2,5 auf 5 Prozent verdoppelt. Eine Vermögenszuwachssteuer wird eingeführt.

Volle Lohnsteuer ab 100.000. Keine Begünstigung des 13./14. Gehalts für Gehaltsteile über 100.000 Euro steuerliche Bemessungsgrundlage – das trifft die obersten 0,9 Prozent der LohnsteuerzahlerInnen. 99,1 Prozent erhalten diesen Steuervorteil wie bisher.
maschi - 26. Aug, 07:58

ad letztem punkt "volle lohnsteuer": den kann man möglicherweise sogar vor dem verfassungsgerichtshof erkämpfen. wenn man für "normal" "hohe" einkommen vielleicht noch argumentieren kann, dass einkommensteuerpflichtige dieses privileg nicht geniessen, weil sie ein paar mehr "gestaltungsmöglichkeiten" hinsichtlich betriebsausgaben haben, wird es spätestens im bereich sehr, sehr hoher einkommen meines erachtens klar verfassungswidrig, weil gleichheitswidrig: der manager zahlt aufgrund des privilegs für 13., 14. deutlich weniger steuer als der finanziell gleich erfolgreiche zb freiberufler.

hab aber leider keine ahnung, ob der vfgh da schon mal abgewunken hat...

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