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Die andere,verschwiegene ägyptische Revolution

Wir alle verfolgen gebannt die Revolution in Ägypten und der gesamten arabischen Welt.
Erinnerungen an 1989 werden wach.
Dieses dicht besiedelten Land mitten in der Wüste, wächst derzeit jährlich um ca 1,4 Mio Einwohner.
Und doch hat hier längst eine Revolution stattgefunden, über die jedoch kaum gesproche wird.
Auf den ersten Blick wirkt die Bevölkerungspyramide erschreckend:

bevegypt

Schaut man jedoch genau hin, dann verflacht der Bevölkerungszuwachs rapide am Fuß der Pyramide.

Sichtbar wird das mit dem sensationellen gapminder, der Erfindung des bewundernswerten Hans Rosling:

egypt

dringende Empfehlung: 10 Minuten direkt gapminder studieren. Es ändert die Sicht der Welt.
Auf der x Achse "children/woman" eingeben, und dann rechts beliebige Länder anklicken.(z.B. egypt und Austria)
Ich garantiere: Das öffnet die Augen


1960 (mein Geburtsjahr) bekam eine Frau in Ägypten im Durchschnitt ca 6,5 Kinder.
Das ist bis heute dramatisch auf 2,8 Kinder zurückgegangen (fast exakt der österreichische Wert 1960) und wird weiter sinken.
Worauf gründen stark sinkende Geburtenraten:
entweder steigende Bildungsabschlüsse v.a.von Frauen, sowie eine zunehmend offene (urbane) Gesellschaft oder rigide staatliche Bevölkerungspolitik a la China.
Zweiteres ist in Ägypten nicht der Fall.
Klar gibt es in Ägypten auch islamistische Bewegungen. Aber offenbar auch ganz andere Entwicklungen.
Merkwürdigerweise findet diese so wichtige Veränderung der ägyptischen Gesellschaft medial kaum Betrachtung.

Update 31.1.

womenegypt

Erhärtung der obigen These (wieder aus gapminder)
Die Dauer, welche ägyptische Mädchen in Schulen verbringen ist ebenso gestiegen, wie (daraus resultierend) das Alter, ab dem sie heiraten.
Michael (Gast) - 30. Jan, 14:08

Ist das Glas halb voll oder halb leer?

Die Tatsache, dass eine viel, viel zu hohe Geburtenrate auf eine zu hohe zurückgegangen ist, ist ein Fortschritt. Aber 2,5 bis 3 Kinder ist immer noch weit von einer Nachhaltigkeit weg! (Angesichts der Bevölkerungsexplosion von 20 auf 80 Millionen in nur 60 Jahren, wäre eine Geburtenrate unter 2 eine Zeitlang vernünftig!
Denn der Boden vermehrt sich eben nicht. Die landwirtschaftliche Fläche im engen Niltal und im Nildelta kommt durch diese Bevölkerungsentwicklung weiter unter Druck. Kein Wunder, dass Ägypten heute der weltgrößte Weizenimporteur ist (https://www.theoildrum.com/node/7425#more). Und kein Wunder, dass weite Teile der Bevölkerung (auch in anderen Staaten der Region) auf die Straße gehen, wenn die Subventionierung von Weizen, Lebensmitteln und Benzin reduziert werden soll (das war ja der Auslöser der Aufstände in Tunesien). All das ist eben auch eine Folge der Bevölkerungsexplosion in einem Umfeld endlicher Ressourcen (Boden, Energie etc.).
P.S.: Gapminder zeigt auch, dass von 2010 bis 2030 die ägyptische Bevölkerung nochmals um 25 Millionen zunehmen wird (https://bit.ly/f5LVbi)

dieter (Gast) - 30. Jan, 14:10

Das Bevölkerungswachstum wird noch für Generationen rapide weiter gehen. Die Pyramide wird sich nach oben zumindest zu einem Zylinder ausbilden, also von der Fläche her verdoppeln. (Das sagen auch die offiziellen Prognosen bis 2050 voraus)

Auf theoildrum.com gibt es einen interessanten Beitrag:
https://www.theoildrum.com/node/7425

Ägypten hat seit letztem Jahr kein Öl für den Export mehr übrig. Durch sinkende Produktion und Bevölkerungswachstum wird nun alles im Land selbst aufgezehrt. Das Benzin wird dort um 0,65$/Gallone verschenkt, also um 0,12 Euro/Liter abgegeben. Der Weltmarktpreis wird sich durchsetzen, egal, welche Regierung im Amt ist und die allgemeinen Nahrungsmittelsubventionen wird sich Ägypten mangels Devisen auch nicht mehr leisten können.

Die Dynamik des Bevölkerungswachstums und der Ressourcenfrage wird von den Medien nicht überschätzt, sondern ganz im Gegenteil unterschätzt.

Und es gibt einen dritten Grund für sinkende Geburten. Und zwar das Erreichen des malthusischen limits, was im Gros der Menschheitsgeschichte der Normalfall war.

****
In Tunesien sieht die Situation wesentlich besser aus. Die Fertilitätsrate beträgt bereits 1,8, Benzinpreise sind auf Weltmarktniveau und es gab gutes und ungebrochenes Wirtschaftswachstum, das nicht auf Rohstoffexport basiert. Ich bin daher skeptisch, dass es sich in Tunesien um eine Armutsrevolte handelt, wie das in den Medien immer dargestellt wird.

alexander (Gast) - 1. Mär, 06:53

nabeul

sehe ich auch so
der h. (Gast) - 30. Jan, 17:58

Parties statt Kinder!

tja damals wurde die Liesl ja fürchterlich gschimpft.
Aber heute sehen wir glasklar: Sie hat recht
:-p

a.m. (Gast) - 2. Feb, 14:37

bis irgendwann einmal der punkt erreicht ist, wo die sozialsysteme nicht mehr haltbar/finanzierbar sind. ob es dann zu aufständen, mehr kriminalität, anarchie, bürgerkrieg kommt?
armut ist der größte katalysator dafür.
Eurie (Gast) - 30. Jan, 21:19

Die Geburtenraten...

...gehen in Ägypten zurück, genauso wie sie auch in den anderen Ländern (mit derzeit hohen Geburtenraten) zurückgehen werden. Wer heutige Geburtenraten linear fortrechnet (und die Bevölkerungszahlen somit exponentiell) ist entweder ein Vollidiot oder ein Demagoge. Die Geburtenraten gehen im Wesentlichen dann zurück, wenn Wohlstand, Stabilität und vor allem der Bildungsgrad von Frauen steigen. Wer sich also um zu hohe Geburtenraten in armen Ländern sogrt (ich mach das nicht), sollte mit aller Kraft dafür kämpfen, dort Wohlstand und Bildung zu vermehren - das ist das Einzige, was gegen Überbevölkerung hilft (und gleichzeitig Armut und Unbildung vermeidet - ein sich selbst positiv verstärkender Prozess).

a.m. (Gast) - 2. Feb, 14:48

bin absolut dakor.
Joeyb (Gast) - 15. Feb, 23:27

@die geburtenraten

Und warum haben dann moslemische Frauen in Frankreich konstant 8,4 Kinder?
antonia (Gast) - 24. Dez, 19:43

haben sie nicht

Keine Ahnung, woher Sie diese Zahl haben, aber sie ist Unsinn.
georg (Gast) - 31. Jan, 08:22

Analphabetismus

Ich denk grad darüber nach, wie das mit der sehr hohen Analphabetismus-Rate in Ägypten zusammenpasst. Mindestens 25-30% gelten als Analphabeten (ein Nährboden für religiösen Fundamentalismus jeglicher Art), wobei der Anteil bei den Frauen als noch höher gilt.
Nicht bekannt ist mir jedoch die Altersverteilung bei den Analphabeten. Natürlich kann es sein, dass hier ein Aufholprozess stattgefunden hat, und die hohe Quote insbesondere in der älteren Generation zu erklären ist. Interessant wäre natürlich auch noch die innere Struktur, als Stadt-Land Gefälle etc.

der h. (Gast) - 31. Jan, 11:24

häst halt im gapminder nachgschaut:
Egypt Literacy rate, youth female (% of females ages 15-24)
1976 38%
2006 81%


Literacy rate, youth male (% of males ages 15-24)
1976 63%
2006 88% UNESCO Institute for Statistics

mit anderen worten: wenn der diktator sein volk in die schule schickt, wird er früher oder später abgesägt.
eingentlich fast unfair.
aber nur fast.
phs (Gast) - 31. Jan, 09:49

Buchtip

Wen's näher interessiert: Youssef Courbage/Emmanuel Todd, Die unaufhaltsame Revolution. Über Zusammenhang Bildung, Geburtenrate und Wohlstand in mehrheitlich islamischen und christlichen Ländern. Fazit: Religion ist wurscht, Paternalismus hemmt Entwicklung. Empfehlung!
Lg, Philipp

M. II (Gast) - 31. Jan, 19:45

Die Behauptung, dass die demographische Entwicklung in arabischen, islamischen oder gar afrikanischen Staaten heute ja nur der entspräche, die wir in Europa vor 2-3 Generationen hatten, ist schlicht falsch. Auch wenn sie noch so oft wiederholt wird. Europäische Staaten haben sich nie auch nur annähernd in 100 Jahren verzehnfacht! (Leider kann ich die folgende gapminder-Grafik mit der Bevölkerungsentwicklung Deutschlands, Italiens, Türkei, Äthiopien und Ägypten hier nicht einbinden):
https://www.gapminder.org/world/#$majorMode=chart$is;shi=t;ly=2003;lb=f;il=t;fs=11;al=0;stl=t;st=t;nsl=t;se=t$wst;tts=C$ts;sp=5.59290322580644;ti=2030$zpv;v=0$inc_x;mmid=XCOORDS;iid=ti;by=ind$inc_y;mmid=YCOORDS;iid=phAwcNAVuyj0XOoBL_n5tAQ;by=ind$inc_s;uniValue=8.21;iid=phAwcNAVuyj0XOoBL_n5tAQ;by=ind$inc_c;uniValue=255;gid=CATID0;iid=phAwcNAVuyj2tPLxKvvnNPA;by=grp$map_x;scale=lin;dataMin=1651;dataMax=2053$map_y;scale=lin;dataMin=-1269565.5929;dataMax=120261393$map_s;sma=62;smi=2.65$cd;bd=0$inds=i71_l001800exfz;i82_l001600gYcO;i65_l001600iheO;i108_l001600jbbI;i231_l001600jtdW

der h. (Gast) - 31. Jan, 20:43

es läuft alles schneller.
europa hat 2 jahrhunderte gebraucht um den analphabetismus zu marginalisieren.
ägypten und viele andere haben das in 30 jahren geschafft.

auch der anstieg wie der abfall in der geburtenrate ist wesentlich steiler.

am ende dieses jahrhunderts sind traditionelle analphabeten am austerben.
sekundäre oder funktionelle analphabeten wirds noch geben. aber ganze familien, ganze dörfer in denen keiner lesen und schreiben kann, das wird es nicht mehr geben.
a.m. (Gast) - 2. Feb, 14:32

wozu neue medien alles gut sind

ist grandios.
Am Beispiel Tunesien, Ägypten ... nun folgen auch in anderen arabischen Ländern Reformen. Machthaber versprechen nach ihrer Amtszeit nicht mehr zu kandidieren oder ihr Amt innerhalb der Familie nicht weiterzugeben.

Facebook, Twitter ... aber am meisten Al Jazeera trugen dazu bei. Zusätzlich gab es Studierte aus dem arabischen Raum, die hier in Europa die Chance dazu hatten. Auch das trägt dazu bei, das Volk weiter in ihrer eigenen Stimme zu bestärken.

Die EU sollte mit Freudenblick, Mut zur Demokratie und nicht mit Besorgnis reagieren. Das ist zwiespältig und heuchlerisch, nur auf den eigenen Nutzen bedacht. Diplomatie ist aber leider so.

Man kann nur hoffen, dass dieser Funken ganz Asien berührt, bis nach China. :) Nur ist das sicherlich nur ein Wunschtraum.

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